Als Trennungscoach habe ich leider immer wieder mit Menschen zu tun, die unter Trauma Bonding leiden oder gelitten haben. Vielen Betroffenen selbst ist es leider nicht klar, was dies genau ist bzw. warum sie so fühlen, wie sie fühlen.
Aus diesem Grund möchte ich in diesem Blogartikel aufklären, was Trauma Bonding ist, wie es entsteht und wie sich Betroffene daraus lösen können.
Was ist Trauma Bonding?
Trauma Bonding wird verwendet, um eine emotionale Verbindung zu beschreiben, die meist zwischen zwei Personen entstanden ist, die aufgrund von wiederholten traumatischen Ereignissen, Manipulation, Machtungleichgewichten und einer Vielzahl von psychologischen Mechanismen entstanden ist.
Die Opfer von Missbrauch oder Trauma entwickeln eine enge emotionale Beziehung zu ihren Tätern, die paradoxerweise sehr stark ist, selbst wenn die Betroffenen wissen, dass ihnen die Beziehung nicht guttun, schädlich oder seelisch oder körperlich gewalttätig ist.
Für Außenstehende ist Trauma Bonding oftmals nicht nachzuvollziehen. Wenn man allerdings in dieser Beziehung steckt, ist es eine Abhängigkeit, in diesem Fall eine emotionale Abhängigkeit. Trauma Bonding ist eine spezifische Form der emotionalen Abhängigkeit, die in traumatischen oder missbräuchlichen Situationen entsteht. Hier findest du meinen Blogartikel zum Thema emotionale Abhängigkeit. Darin habe ich u.a. beschrieben, wie du merkst, dass du emotional abhängig bist, welche Ursachen dafür der Grund sein können und wie du dich daraus lösen kannst.
Trauma Bonding: 5 Faktoren, die dazu führen können
Trauma Bonding entsteht in der Regel als eine Art Überlebensmechanismus in traumatischen oder missbräuchlichen Situationen. Es gibt mehrere Faktoren und psychologische Mechanismen, die dazu beitragen können. Diese 5 Faktoren erkläre ich näher.
Wiederholte traumatische Ereignisse
Schauen wir uns die Lebensgeschichte von Susanne an. Sie hat in ihrer Kindheit sehr unter ihrem Vater mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung gelitten. Er war gegenüber Susanne emotional und körperlich in ihrer Kindheit gewalttätig. Dies hat sich später in ihrer Partnerschaft fortgesetzt. Allerdings war ihr das aber nicht klar, denn ihr Partner war anfangs sehr liebevoll und hat alles für sie getan. Nach und nach schlich sich erst eine emotionale Gewalt in die Partnerschaft ein, später wurde auch der Partner Susanne gegenüber körperlich und sexuell gewalttätig. Sie ist also wieder in ein gleiches Beziehungsmuster wie in ihrer Kindheit gerutscht.
Dies bedeutet, wenn eine Person wiederholt traumatischen Situationen oder Missbrauch ausgesetzt ist, kann sich eine emotionale Bindung als eine Art Überlebensstrategie entwickeln. Das Opfer kann beginnen, eine starke emotionale Verbindung zu seinem Peiniger zu entwickeln, um in der gefährlichen Umgebung zu überleben.
Machtungleichgewicht und Kontrollmechanismen
In toxischen Beziehungen sind Machtungleichgewichte und Kontrollmechanismen häufig vorhanden. Der Peiniger kann die Macht und Kontrolle über das Opfer ausüben, was dazu führt, dass das Opfer sich abhängig von der Zustimmung, Zuneigung oder Aufmerksamkeit des Peinigers fühlt.
Wenn du mehr über eine toxische Beziehung wissen möchtest, kannst du dies in meinem Blogartikel „Was ist eine toxische Beziehung und wie kann ich mich daraus lösen“ nachlesen.
Melanie hat einige unglückliche Partnerschaften erlebt. Bis sie ihren Traummann gefunden hat. Er hat ihr alles von den Augen abgelesen, sie behütet und sie sehr verwöhnt. Sie selbst hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass sie die ganz große Liebe findet. Umso stärker war ihr Gefühl für ihren Partner und hat deshalb auch alles für ihn gemacht. Als ihr Partner nach und nach Melanie immer mehr kontrolliert hat, sie von Familie und Freunden – von ihr unbewusst – isoliert hat, hat er seine Macht über sie immer mehr ausgespielt und sie fühlte ich immer wertloser und kleiner.
Verwirrung von Liebe und Manipulation
Julia ist in ihrer Partnerschaft sehr glücklich. Sie kennt ihre Partnerin noch nicht lange, aber sie haben die gleichen Wünsche und Ziele im Leben. Sie freut sich auf jede gemeinsame Stunde mit ihr. Ab und zu kommt es jetzt vor, dass ihre Partnerin ihr etwas sagt, was nachweislich nicht stimmen kann. Wenn Julia sie darauf anspricht, wird ihr gesagt, dass sie dies falsch verstanden hat oder dass sie ein „Dummerchen“ ist und die Zusammenhänge nicht begreifen kann. Einen Tag später bekommt sie einen Blumenstrauß oder eine Einladung zu einem tollen, gemeinsamen Essen. Julia ist hin- und hergerissen. Sie liebt ihre Partnerin und deshalb spielt sie die Manipulationen herunter. Sie stellt ihre eigene Wahrnehmung infrage und nimmt die Lügereien als Wahrheit hin.
Oftmals kann der Peiniger sowohl Liebe als auch Misshandlung oder Manipulation zeigen, was beim Opfer Verwirrung und Ambivalenz hervorruft. Das Opfer kann beginnen, die positiven Momente oder Zeichen von Zuneigung als Beweis für die Echtheit der Beziehung zu interpretieren, während es gleichzeitig die Misshandlung rationalisiert oder verleugnet.
Isolation und Abhängigkeit
Peiniger können ihre Opfer oft isolieren, sei es physisch, emotional oder sozial. Dadurch wird das Opfer noch abhängiger von der Beziehung zum Peiniger und hat möglicherweise niemanden außerhalb der Beziehung, der Unterstützung oder Rat bieten kann.
Antonia ist mit ihrem Freund 6 Monate zusammen. Sie haben sich im Urlaub kennen und lieben gelernt. Da sie weit voneinander entfernt wohnen, zieht Antonia in seine Wohnung und hat ihren alten Job gekündigt. Sie hat für ihn ihr altes Leben komplett aufgegeben. Er möchte nicht, dass sie gleich wieder arbeitet. „Sie soll erstmal hier in dieser Gegend ankommen“. Ihre alten Freunde fanden den Umzug zu überstürzt. Sie und besonders ihr Freund sehen dies ganz anders. Deshalb hat Antonia keinen Kontakt mehr zu ihren „alten“ Freunden. Dies bedeutet, dass sie komplett sozial isoliert lebt und deshalb keine anderen Gesprächspartner als ihren Freund und ggf. Freunden von ihm hat. Eine soziale Isolation oder auch soziale Gewalt kann auch schnell auf andere Gewaltarten ausgeweitet werden.
Überlebensmechanismen des Gehirns
Das Gehirn kann in traumatischen Situationen Überlebensmechanismen auslösen, wie zum Beispiel das Stockholm-Syndrom, bei dem Opfer positive Gefühle oder Sympathie für ihre Peiniger entwickeln, um das Überleben zu sichern.
Dies kennt man aus Entführungen oder anderen Missbrauchsfällen.
Diese 7 Handlungen machen die Peiniger
In den oberen Beispielen habe ich bereits einige der typischen Handlungen von Peinigern aufgezeigt. Hier sind die 7 meisten Handlungen, die ein Trauma Bonding nach sich ziehen.
- Manipulation
Die Peiniger setzen subtile oder offensichtliche Manipulationstechniken ein, um ihre Opfer zu kontrollieren. Dies kann Lügen, Gaslighting (eine Taktik, bei der das Opfer dazu gebracht wird, seine eigene Realität zu leugnen), Schuldzuweisungen oder das Verzerren von Fakten umfassen. - Isolation
Die Opfer werden von anderen Menschen isoliert, z.B. von Kolleg:innen, Freund:innen, Vereinsmitglieder:innen, Sportfreund:innen, um ihre Abhängigkeit zu verstärken und Widerstand zu verhindern. Dies kann dazu führen, dass sich das Opfer isoliert und allein fühlt. Dies macht es sehr schwierig, Hilfe zu suchen, sich zu befreien oder dies überhaupt erst zu merken. - Dominanz und Kontrolle
Die Peiniger versuchen oft, die Kontrolle über alle Aspekte des Lebens ihrer Opfer zu übernehmen, einschließlich finanzieller Angelegenheiten, sozialer Interaktionen, Entscheidungsfindung und oftmals sogar die Wahl der Kleidung. Dies dient dazu, das Opfer zu dominieren und zu demütigen. - Gewalt oder Drohungen
In einigen Fällen greifen Peiniger zu physischer oder sexueller Gewalt oder drohen damit, um ihre Macht und Kontrolle zu festigen und das Opfer einzuschüchtern. - Wechsel von Liebe und Misshandlung
Ein häufiges Merkmal dieser Beziehungen ist der ständige Wechsel von Liebe und Misshandlung, bei dem der Peiniger zwischen positiven und negativen Verhaltensweisen schwankt. Dies kann dazu führen, dass Opfer verwirrt und ambivalent über ihre Beziehung sind. - Kontrolle der Kommunikation
Die Peiniger können die Kommunikation ihrer Opfer kontrollieren, indem sie deren Nachrichten überwachen, den Zugang zu Telefonen oder Computern beschränken oder das Opfer daran hindern, mit anderen zu sprechen. - Herabwürdigung und Erniedrigung
Die Opfer werden ständig von ihren Peinigern kritisiert, herabgesetzt oder erniedrigt, um ihr Selbstwertgefühl zu untergraben und die Macht der Peiniger zu festigen.
Mögliche Konsequenzen von Trauma Bonding
Trauma Bonding kann eine Vielzahl von langfristigen Konsequenzen und Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben. Ich habe hier die für mich 7 wichtigsten möglichen Konsequenzen aufgeschrieben.
- Emotionale Instabilität
Betroffene können lange emotional instabil sein. Dies kann sich in starken Stimmungsschwankungen, Angstzuständen, Depressionen und posttraumatischem Stress äußern. - Niedriges Selbstwertgefühl
Trauma Bonding kann dazu führen, dass Betroffene ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen verlieren. Sie können sich wertlos und / oder ungeliebt fühlen und Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen und zu verteidigen. - Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen
Betroffene können Schwierigkeiten haben, gesunde zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Sie könnten Probleme haben, anderen zu vertrauen, sich emotional zu öffnen oder intime Bindungen einzugehen, da sie Angst vor erneutem Missbrauch haben. - Risiko für wiederholten Missbrauch
Betroffene neigen dazu, ähnliche Beziehungen wieder einzugehen oder in toxische Muster zurückzufallen, wenn das Trauma Bonding nicht auf- und verarbeitet wurde. - Körperliche Gesundheitsprobleme
Langfristiger Stress und Trauma können sich negativ auf die körperliche Gesundheit auswirken und das Risiko für verschiedene Gesundheitsprobleme wie Herzkrankheiten, Magen-Darm-Störungen und Schlafstörungen erhöhen. - Selbstschädigendes Verhalten
Betroffene von Trauma Bonding können dazu neigen, selbstschädigendes Verhalten wie Drogen- oder Medikamentenmissbrauch, Essstörungen oder selbstverletzendes Verhalten zu entwickeln, um mit ihren emotionalen Schmerzen und Traumata umzugehen. - Schwierigkeiten bei der beruflichen und persönlichen Entwicklung
Betroffene haben möglicherweise Schwierigkeiten, ihre Ziele zu verfolgen, beruflich voranzukommen oder ein erfülltes Leben zu führen.
So können sich Betroffene vom Trauma Bonding lösen
Das Auflösen von Trauma Bonding ist ein komplexer und vor allem ein sehr individueller Prozess, der Zeit, Geduld und meistens auch professionelle Unterstützung erfordert. Hier habe ich einige Schritte und Strategien aufgelistet, die helfen können, sich aus einem Trauma Bonding zu lösen.
Akzeptanz und Einsicht
Der allererste Schritt ist, dass der Betroffene die Realität seiner Beziehung sieht, anerkennt und versteht. Trauma Bonding ist das Ergebnis von traumatischen Umständen und niemals ein Zeichen von Liebe oder Unterstützung.
Selbstfürsorge praktizieren
Selbstfürsorge ist entscheidend für die Heilung von Trauma Bonding. Dies kann die Pflege der körperlichen Gesundheit (z.B. Zugabe von Nährstoffen und Vitaminen, Untersuchen von inneren Organen) sein. Aber auch Meditationen, Sport oder Hobbys sollten in den Alltag mit eingeplant werden. Außerdem sollten mentale Unterstützungen in die tägliche Routine mit eingeplant werden (z.B. Übungen der positiven Psychologie).
Grenzen setzen und durchsetzen
Durch das Trauma Bonding hat der Betroffene verlernt, gesunde Grenzen zu setzen und durchzusetzen. Mit der Setzung von Grenzen schützt der Betroffene sich vor weiteren Schäden und anderen möglichen Peinigern. Gerade gegenüber dem jetzigen Peiniger ist es wichtig, dass du deine Grenzen nicht nur kommunizierst, sondern diese auch zu 100 % einhältst.
Ressourcen und Unterstützung nutzen
Die Inanspruchnahme von Selbsthilfegruppen (egal ob On- oder Offline) oder anderen Verbindungen für Betroffene von Trauma und Missbrauch kann dabei helfen, sich mit anderen zu verbinden, Unterstützung zu finden und zu erkennen, dass man nicht allein ist.
Aufbau gesunder Beziehungen
Durch den Aufbau und die Pflege von gesunden Beziehungen zu unterstützenden Freunden, Familienmitgliedern oder anderen vertrauenswürdigen Personen kann der Betroffene lernen, was eine gesunde Beziehung ausmacht und seine sozialen Fähigkeiten wieder stärken. Auch sollte man wieder auf „alte“ Freunde zugehen, die er vermeintlich während der Zeit des Trauma Bondings verloren hat.
Geduld und Selbstmitgefühl
Ganz wichtig ist zu wissen, dass der Gesundungsprozess von Trauma Bonding langwierig und herausfordernd sein kann. Es ist deshalb sehr wichtig, geduldig mit sich selbst zu sein und Selbstmitgefühl zu praktizieren, während man sich auf den Weg der Heilung begibt.
Professionelle Hilfe suchen
Der Betroffene sollte sich Unterstützung durch Experten suchen, die sich auf Trauma und Missbrauch spezialisiert haben. Diese können dabei helfen, die zugrunde liegenden Traumata zu bearbeiten, gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln und die Selbstheilung zu fördern.
Fazit
Trauma Bonding hat eine komplexe und tiefgreifende Dynamik in toxischen Beziehungen. Oftmals entsteht diese Bindung als Überlebensmechanismus und kann deshalb auch schwerwiegende Auswirkungen auf Körper, Geist und Seele haben. Aus diesem Grund kann es auch sehr schwer sein, sich aus einem Trauma Bonding zu lösen. Auch hier gilt: Sei geduldig und lieb zu dir selbst. Außerdem gib dir die Zeit, die es braucht, um zu heilen und hol dir die Unterstützung, die du brauchst.
Hast du Fragen zu diesem oder anderen Themen im Bereich der Trennung, schreibe mir gerne eine Mail.
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