Eigentlich wollte ich nur einen Blogartikel zum Thema „Häusliche Gewalt“ schreiben. Aber nach ein paar Zahlen, Daten und Fakten aus Deutschland konnte ich nicht nur einen rein sachlichen Text schreiben. Deshalb gibt es meine Meinung zum Thema häusliche Gewalt in Deutschland und erschreckende Wahrheiten als separaten Blogartikel. Fangen wir erstmal mit ein paar einfachen Zahlen an.
Die Zahlen der häuslichen Gewalt in Deutschland insgesamt steigen von Jahr zu Jahr, dies wurde vom Innenministerium veröffentlicht. 2022 wurden 240.547 Fälle von häuslicher Gewalt bei der Polizei angezeigt, dies entspricht einem Anstieg von 8,5 % zu 2021.
Bei der Gewalt in Partnerschaften ist die Steigerung sogar 9,1 %. Betroffen waren überwiegend Frauen, nämlich 80,1 %. Die Tatverdächtigen bei Gewalt in der Partnerschaft sind zu 78,3 Prozent Männer.
Mit diesen wenigen Zahlen ist mir bereits klar, dass häusliche Gewalt ein großes Problem für uns alle ist und dies über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg. Das mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden, liegt nicht nur daran, dass wir inzwischen sensibilisiert worden sind, sondern auch, dass die Schwelle zur häuslichen Gewalt inzwischen niedriger geworden ist. Dies wurde inzwischen auch von verschiedenen Politikern offen gesagt.
In einer Befragung 2023 von Plan International Deutschland fanden 33 % der 18 – 35jährigen Männer es eher oder voll okay, wenn Partnerinnen während eines Streits geschlagen werden. 34 % der Männer haben bereits Frauen geschlagen, um ihnen Respekt einzuflößen. Das liest sich für mich wie „ich muss mal meinen Hund schlagen, damit er weiß, wer der Herr im Hause ist“. Wie kann es sein, dass wir als Gesellschaft immer noch dieses Denken haben? Sollten wir uns nicht inzwischen weiterentwickelt haben?
Jedes Jahr steigt die Zahl der ermordeten Frauen und Männer an, die von ihrem (Ex-)Partnerinnen und Partnern getötet wurden. Und obwohl es inzwischen dafür separate Begriffe gibt, wie zum Beispiel „Femizid“ wird immer noch von der Presse von einem „Familiendrama“ oder „Familientragödie“ geschrieben. Mord bleibt Mord – egal welche Begriffe die Presse dafür verwendet. Natürlich liest sich „Familiendrama“ als nicht so wichtig und nicht so gewalttätig wie Mord.
Mit jedem dieser Fakten ist es für mich unverständlicher, wie die Gesellschaft mit dieser Thematik umgeht. Insbesondere wie oftmals Gerichtsurteile zustande kommen. Woran liegt es, dass immer noch häufiger den Tätern geglaubt wird als den Opfern? Es ist gut, dass jeder so lange als unschuldig angesehen werden muss, bis es bewiesen wird. Leider können die Straftaten, die innerhalb einer Wohnung passieren, oftmals nicht bewiesen werden.
Muss hier trotzdem immer die Unschuldsvermutung herangezogen werden? Dies ist meiner Meinung nach einer der Gründe, warum so viele Straftaten innerhalb einer Partnerschaft immer noch nicht angezeigt werden. Denn die Opfer gehen einen sehr steinigen und harten Weg. Denn sie wissen, sie werden im Gericht ihren Peiniger gegenübertreten müssen, sie müssen sich harten, oftmals schon unverschämten Fragen des gegnerischen Anwalts gefallen lassen und sie tragen sehr häufig psychische Schäden davon.
In meiner Arbeit mit getrennten Frauen höre ich immer wieder folgende Aussagen, die von Anwältinnen und Anwälten während einer Scheidung gesagt werden: „Sprechen Sie nicht mögliche Gewalttaten ihres Partners/ihrer Partnerin an. Gerichte gehen davon aus, dass sie dies nur sagen, um mehr Geld herauszuholen, als Betreuungsmodell das Residenzmodell zu erhalten oder um ihrem / ihrer Ex eins auszuwischen.“ Wie kann es sein, dass getrennten Frauen gesagt werden, sie sollen ihren Mund halten oder lügen, damit die Wahrheit nicht rauskommt?
Leidtragende sind dann leider nicht nur die Frauen, sondern auch die Kinder. Weißt du eigentlich, dass beide Elternteile beim gemeinsamen Sorgerecht zustimmen müssen, wenn ihr Kind seelische Unterstützung benötigt? Wenn einer der beiden Elternteile also nicht zustimmt, darf das Kind nicht behandelt werden.
Häusliche Gewalt kann auch sexuell erfolgen. Aber wird dies geahndet? Leider nein. Die Süddeutsche Zeitung hat im Juni 2023 geschrieben: „Bei kaum einem Delikt kann ein Täter so darauf vertrauen, straffrei auszugehen, wie bei sexualisierter Gewalt“ und titelte „Das perfekte Verbrechen“. „Die Gründe für die Freisprüche waren immer unterschiedlich. Mal wurde im Zweifel für den Angeklagten entschieden, mal hatte das Opfer nicht vor Gericht aussagen wollen, mal glaubten die Richter, dass die sexuellen Handlungen einvernehmlich waren.“
Deshalb werden diese Straftaten in einer Partnerschaft erst gar nicht angezeigt. Auch ich habe in direkter Umgebung diese Erfahrung gemacht, dass der Frau auch hier von einer Anwältin mitgeteilt wurde, dass sie dieses Thema aus der Scheidungssache herauszuhalten hat – und dies trotz des Gesetzes von 1997, dass eine Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Auch hier wurde deutlich gesagt, dass dies nur die Position der Vergewaltigten verschlechtern würde. „Außerdem wäre es ja schon fast verjährt.“ Eine interessante Tatsache zu diesem Gesetzesbeschluss: Horst Seehofer und Friedrich Merz haben damals gegen dieses Gesetz gestimmt.
Wie können wir dieses Dilemma verbessern? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Klar ist, dass Deutschland bzw. Europa hier dringend zum Schutze der Opfer handeln muss. Außerdem ist dieses Thema nicht einfach wegzudenken nach dem Motto, mich betrifft es nicht. Wenn es so viele Opfer von häuslicher Gewalt gibt und genauso viele Täter, kennt jeder von uns mindestens ein Opfer und einen Täter.
Also wegschauen ist keine Lösung. Victim-Blaming, also die Umkehr von Täter und Opfer, übrigens auch nicht. Vielleicht sollte wir alle dem Opfer zuhören und ihm glauben. Denn jeder von uns sieht immer nur einen Teil eines Menschen, nämlich den Teil, den er nach draußen zeigen möchte.
Hier meine traurige Antwort auf die Frage „Wird häusliche Gewalt in Deutschland akzeptiert?“: „Ich befürchte, ja!“
Aber wir alle können etwas dagegen machen, denn wir können dieses Thema aus der Tabuzone holen, darüber sprechen und uns einmischen. Lasst uns laut werden!
Machst du mit?
Oha, heftiges Thema, Claudia, aber da bin ich direkt draufgesprungen, denn wer einmal Gewalt erlebt hat, weiß, wie sich Ohnmacht und körperliche Unterlegenheit anfühlt. Danke, dass du dieses Thema so offensiv und mit Fakten belegt angehst!
Klasse Artikel, den jeder- egal ob Mann, Frau oder Divers – lesen sollte, damit wir alle zusammen aufstehen und LAUT dagegen an gehen!
Gruß Gabi
Liebe Gabi,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar und das du mitaufstehst und auch laut bist!
Viele liebe Grüße
Claudia
Liebe Claudia, Danke für diesen Beitrag. Wir können nicht genug die Zahlen und Fakten benennen – und das sind ja nur die offiziellen Zahlen. Aufgrund der von dir benannten Gründe kommt aus meiner Sicht ein Großteil der Taten gar nicht erst zur Anzeige. Auch ich als Familientherapeutin habe aus traumatherapeutischer Sicht Frauen schon dazu geraten, mit einer Anzeige zu warten. Wenn bspw. die Frau durch Traumatisierung aufgrund von Gewalt in der Kindheit schon vorbelastet ist und ihr psychischer Zustand so labil ist, dass zu befürchten ist, dass eine Retraumatisierung durch Ämter und Behörden den Zustand noch weiter destabilisiert. In diesen Momenten schalte ich mein feministisches Bewusstsein aus, welches auf Anzeige drängt, denn es geht um die Stabilisierung und emotionale Sicherheit der konkreten Frau, die vor mir sitzt. Aber es ist immer ein Spagat. Als Therapeutin, als Feministin und als ehemals Betroffene sage ich: Ja, häusliche Gewalt wird in Deutschland akzeptiert und ist vielleicht sogar gewollt. Verängstigte Frauen/Menschen bleiben häufig still und in ihrer Sehnsucht nach Liebe manipulierbar. Das andere Thema, welches du hier am Rande streifst, ist die Tatsache, dass in Deutschland Elternrechte noch weit vor Kinderrechten kommen. Das ist mindestens so gruselig wie das eigentliche Thema.
Also wirklich Danke für deinen Artikel. Sobald es bei mir inhaltlich passt, werde ich ihn auf meiner Seite verlinken.
Herzliche Grüße
Sylvia
Liebe Sylvia,
ich danke dir sehr für deinen Kommentar und besonders: herzlichen Dank für deine Offenheit und für dein Wirken.
Wie erschreckend, dass ich nicht alleine dieses Gefühl habe, dass häusliche Gewalt in Deutschland akzeptiert wird. Noch schlimmer ist deine Aussage, dass diese Gewalt vielleicht sogar gewollt ist.
Umso wichtiger, dass wir LAUT werden. Damit wir nicht mehr still bleiben, sondern unsere Menschen-Rechte einfordern.
Danke, danke, danke
Claudia