Meine Erinnerungen an das geteilte Deutschland und wie sie mich heute noch beeinflussen

von | Aug 31, 2024 | Blog, Persönlich | 8 Kommentare

Last Updated on 31. August 2024 by Claudia

Dieser persönliche Blogartikel ist entstanden in Zuge der Blogparade von Sylvia Tornau „Geteiltes Leben – wie viel DDR steckt nach 35 Jahren Einheit noch in mir?“.

Diese Frage hat mich sofort gepackt, nur dass ich nicht aus der DDR stamme. Aber meine Gedanken müssen raus, deswegen schreibe ich diesen Blogartikel aus Sicht einer BRD‘lerin, die aber immer wieder die DDR besucht hat.

 

Die Familie meines Vaters stammt aus Ostpreußen. Durch die Vertreibung sind damals die meisten Familienmitglieder in Rudolstadt (Thüringen) geblieben. Nur mein Vater und seine Mutter sind über Umwege in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) gelandet.

Die jüngste Tante meines Vaters wollte dann auch in den Westen kommen. Beim ersten Fluchtversuch wurde sie erwischt und war dann erstmal im Gefängnis. Nachdem sie entlassen wurde, hat sie es nochmals versucht und hat es geschafft.

Die älteste Tante meines Vaters siedelte nach ihrer Pensionierung in den Westen über und lies ihr Kind inklusive Enkelkinder dort in Rudolstadt.

Deshalb sind mein Vater und meine Großmutter sehr häufig nach Thüringen gefahren. Natürlich auch, nachdem wir Kinder auf der Welt waren. Zu allen größeren Ereignissen in der Familie in Rudolstadt sind wir dort eingeladen worden.

 

Meine Gefühle bei den Besuchen in Rudolstadt

Ich habe immer noch zwiespältige Gefühle, wenn ich mich an die Besuche in Rudolstadt erinnere. Zum einen denke ich immer an diese Aufregung: welche Schwierigkeiten warten auf uns? Dürfen wir hinfahren? Dürfen wir nicht hin? Unter welchen Voraussetzungen dürfen wir hinfahren? Wer darf mitfahren? Oftmals wussten wir nur kurz vorher, in welcher Konstellation und wie wir nach Rudolstadt fahren durften.

Dann die Grenzsituation. Meine Gedanken liefen dann immer im Kreis: „Vielleicht werden wir noch an der Grenze abgewiesen. Vielleicht passiert aber auch gar nichts.“ Je älter ich wurde, desto schlimmer habe ich die Situationen an der Grenze in Erinnerung. Einmal wurde unser komplettes Auto von innen ausgebaut, also alle Sitze und teilweise die Verkleidung.  Und wir mussten alles wieder einbauen – ohne Werkzeug, weil wir das natürlich nicht dabeihatten. Ein anderes Mal mussten wir stundenlang auf den Pass meines Vaters warten, weil der nicht mit den anderen Reisepässen zurückkam. Wir standen so am Rande und sahen, wie manche Leute festgenommen worden sind, dass manche recht zügig durchfahren konnten, und vor allen Dingen sah ich dort immer die Willkür der Grenzbeamten. Nach meinem Gefühl haben wir dort 8 Stunden gestanden und auf den Pass meines Vaters gewartet. Diese negative Aufregung und Anspannung habe ich sehr lange bei Grenzübertritten gehabt und dies nicht nur bei der DDR.  

 

Meine Gefühle bei den Verwandten in Rudolstadt

Waren wir dann endlich dort angekommen, war ich erleichtert. Ich freute mich auf den schönen Garten meiner Großtante, auf das Zusammensein und die schönen Erlebnisse dort. Noch heute erinnere ich mich gut an das leckere Obst und Gemüse aus dem Garten, an meine Abkühlungen im Fass mit kaltem Wasser und an die schöne Innenstadt und das Schloss in Rudolstadt. Nie wieder habe ich so viel Doppelkopf gespielt wie bei diesen Besuchen.

Aber ich kann mich auch an die angespannte Stimmung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern am späteren Abend erinnern. Ich weiß, dass einige eher für das Regime und einige eher gegen das Regime der DDR war. Je später der Abend, desto mehr wurde getrunken, desto schlimmer kamen die Unterschiede zum Vorschein.

Mein letzter Besuch in der DDR war im Frühjahr 1989. Es wurde Jugendweihe gefeiert und wir wurden natürlich dazu eingeladen. Wir sind auch als Familie zu unseren Verwandten gefahren. Zu dieser Zeit wohnte ich bereits in Frankfurt in einer kleinen Wohnung und war seit Jahren in der Welt unterwegs.

Für jemanden, der konfirmiert ist und sich politisch immer gebildet hat, war die Jugendweihe schwierig zu ertragen. Diese Beweihräucherung des Staates DDR und dieses Hochhalten von alten Ideologien war in meinen Augen so verlogen, dass ich kaum auf dem Platz sitzen konnte. Nach dieser Veranstaltung musste ich mich bewegen. So ging es auch meinen Eltern und meinem Bruder. Einige Verwandte aus Rudolstadt schlossen sich uns an und wir liefen gemeinsam zur Datscha (russischer Begriff für Gartengrundstück mit Häuschen), wo ausgiebig gefeiert wurde.

Als es dämmrig wurde, ist meine Familie und ein Verwandter aus Rudolstadt mit uns zu unserer Übernachtungsstelle gelaufen. Wir waren 5 Menschen auf der Straße. Ansonsten war nichts mehr los. Mit einem Mal gingen 3 Soldaten mit Maschinenpistolen im Anschlag hinter uns her. Dies war eine reine Machtdemonstration uns gegenüber und sie verfehlte ihre Wirkung bei mir nicht. Noch heute habe ich eine extreme Abneigung und Angst, wenn jemand direkt hinter mir geht oder wenn es sich um Waffen handelt.

 

Mein Besuch in Ost-Berlin

In Nordrhein-Westfalen war es Pflicht, dass jede 10. Klasse ihre Klassenfahrt nach Berlin machte. Natürlich hat dies auch meine Klasse gemacht. Für viele meiner Klassenkameraden war es die erste persönliche Berührung mit der DDR, denn wir mussten ja mit dem Zug durch die DDR fahren und damit auch 2 Grenzen überschreiten. Diese Kontrollen waren für mich die einfachsten Kontrollen, die ich jemals mit der DDR erlebt habe. Die Grenzbeamten wussten natürlich, dass die 10. Klassen nach Berlin fuhren. Deswegen waren sie auch geschult und ließen uns immer nach kurzer Überprüfung in Ruhe.

Am ersten Tag in Westberlin stand eine Stadtrundfahrt an. Damals hat es geregnet und ich erinnere mich wie heute daran, wie ich aus dem Bus ausgestiegen, eine Treppe hinaufgestiegen bin und oben auf einem Plateau rübergeschaut habe auf das Brandenburger Tor, das ja in Ostberlin stand. Dort obenstehend hat unser Lehrer uns erklärt, wie die Grenze aufgebaut ist. Wo sich die Selbstschussanlagen befanden, wo die scharfen Hunde liefen, wo die Wachtürme standen, also wie die DDR sich vor Fluchtversuchen seiner Einwohner abgesichert hat. Die meist jungen Grenzsoldaten standen auf den Wachtürmen und beobachteten, wie wir dort standen und über die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten sprachen. Beim Runtergehen sah jeder von uns die Kreuze, die für jeden von der BRD bekannten Mauertoten an dieser Stelle errichtet wurden. Noch heute sehe ich die Kreuze vor meinem inneren Auge – mal mit Namen versehen, mal ohne.

Einen Tag während dieser Klassenfahrt sind wir nach Ostberlin gegangen. Jeder einzelne von uns musste alleine durch die Grenze von West- nach Ostberlin gehen, sich Fragen von den Grenzbeamten stellen lassen und den Zwangsumtausch vornehmen. Für mich nicht ganz einfach mit meinen bisherigen Erfahrungen. Zuerst haben wir uns das Pergamonmuseum sehr ausführlich angeschaut und dann durften wir in kleinen Gruppen Ostberlin erkunden – selbstverständlich nach genauen Instruktionen unserer Lehrer. Es war spannend für mich eine Großstadt der DDR zu erleben. Die Rillen auf den Straßen vor den Ampeln waren alle sehr tief. Gut, dass die Autos hochbeinig waren und damit über diese Stellen fahren konnten. Wenn wir nicht auf der Prachtstraße unterwegs waren, sahen die Häuser katastrophal aus. Damals habe ich sehr anschaulich gesehen, was passiert, wenn ein Staat Menschen unterdrückt, und sich nicht mit anderen Staaten gemeinschaftlich um Probleme der Zeit kümmert.

Es war wirklich für uns problematisch, die zwangsweise eingetauschte Mark unter die Leute zu bringen. Unsere Lehrer sagten, setzt euch in ein Café oder geht irgendwo essen, um das Geld auszugeben. Meine Erfahrung an diesem Tag war, dass wir nicht bedient wurden. Und das lag nicht an unserem Benehmen, denn ich war mit 2 ganz braven Klassenkameraden unterwegs. Ich wollte das Geld ungern in Lebensmittelläden ausgeben, da ich wusste, dass die Ostberliner die Lebensmittel selbst brauchten. Also sind wir in einen Buchladen gegangen und haben uns jeder ein Buch ausgesucht. Dies haben wir auch immer in Rudolstadt gemacht: Ich durfte mir immer ein Buch mit nach Hause nehmen – der Rest des Geldes bekamen sonst immer unsere Verwandten. An diesem Tag haben wir unser Geld einfach auf der Straße verschenkt.

Ich habe seitdem ein Ritual, das ich immer in Berlin mache, egal wie lange ich dort bin, mit wem ich unterwegs bin oder was ich dort zu tun habe. Ich gehe immer einmal durch das Brandenburger Tor. Für mich ist dies mit Freiheit und ganz fest mit meiner und mit der Geschichte von Deutschland verknüpft.

 

Die Öffnung der Grenze 1989

Als die Grenze geöffnet wurde, saß ich in Frankfurt in meiner kleinen Wohnung und habe die ganze Nacht Nachrichten geschaut. Ich konnte es kaum fassen – ein halbes Jahr nach dem „Spießrutenlauf“ durch die Innenstadt von Rudolstadt, war die Grenze offen. Ich glaube, ich habe die ganze Nacht immer wieder geweint. Noch heute kommen bei mir die Tränen, wenn ich an diesen Tag denke. Am liebsten wäre ich in der Nacht noch nach Berlin gefahren, aber das ging ja nicht. Ich musste arbeiten und studieren.

 

Meine Abschlussgedanken

Ich habe diesen Blogartikel zum Anlass genommen und mit meinem Vater über diese Zeit gesprochen. Dabei habe ich mir meine Familiengeschichte noch einmal aus der Perspektive einer älteren Erwachsenen anschauen dürfen und viel über mich und meine Gedanken und Handlungen gelernt.

Bis heute bin ich sehr stur und wachsam, wenn ich engstirniges Gedankengut lese oder erlebe oder dort, wo Waffengewalt herrscht. Dies gilt nicht nur in Deutschland, sondern in allen Staaten der Erde, wo Menschen nicht uneingeschränkt leben dürfen.

Liebe Sylvia, vielen lieben Dank für diesen Anstoß mich mit mir und meiner Familiengeschichte weiter auseinander zu setzen.

Ich weiß jetzt noch besser, warum ich so bin, wie ich bin.

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Ich bin Claudia, und als Trennungscoach unterstütze ich Frauen in Trennungssituationen. In meinen Blogbeiträgen findest du mein Wissen und meine Erfahrungen rund um die Themen "Trennung" und "Persönlichkeits-entwicklung".


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8 Kommentare

  1. Esther

    Liebe Claudia
    Dein Beitrag ist sehr berührend. Unglaublich, was da alles geschehen ist. Es ist für mich als Life Coach auch immer wieder eindrücklich zu sehen, wie unsere Geschichte uns geprägt hat.

    Mir gefällt es, dass du schreibst: Ich weiß jetzt noch besser, warum ich so bin, wie ich bin.

    Denn ich bin überzeugt, dass es uns eine solche Reflexion helfen kann, solche Einflüsse aus der Familiengeschichte zu verstehen, damit wir sie auch für unsere Gegenwart nutzen können.

    Herzliche Grüsse
    Esther

    Antworten
    • Claudia

      Liebe Esther,
      ich danke dir für deinen Kommentar und stimme dir zu, dass gerade die Familiengeschichte einen starken Einfluss auf unsere Geschichte hat.
      Alles Gute
      Claudia

      Antworten
  2. Sylvia Tornau

    Liebe Claudia, aufgrund von Krankheit komme ich leider erst jetzt dazu, deinen wunderbaren Beitrag zu kommentieren. Es freut mich, dass mein Aufruf zur Blogparade für dich ein Anlass war, mit deinem Vater noch einmal über diese Zeit zu sprechen. Ich bin auch der Meinung, dass bei der Betrachtung von Vergangenheit jedes Alter, jede Person eine ganz eigene Sichtweise und Perspektive hat.
    In deinem Beitrag wird noch einmal sehr deutlich, wie die Teilung Deutschlands Familien zerrissen hat. Die Vorstellung, mich entscheiden zu müssen, zwischen Leben in Freiheit oder Kontakt zu meiner Tochter und Enkeltochter – das ist grausam.
    Ich persönlich hatte keine Verwandten im Westen, kannte nur die Messegäste, an die unsere Kinderzimmer zur Messe vermietet wurden. Bei den Gesprächen zwischen den Erwachsenen wurden wir immer hinausgeschickt, daher habe ich lange nicht gewusst, wie die Grenzkontrollen für Menschen sind, die einreisen wollen. Später wusste ich es, da wir sehr viel ins sozialistische Ausland in den Urlaub gefahren sind und unser Auto mehr als einmal so auseinandergenommen wurde, wie du es beschreibst. Daher ist mir auch diese untergründige Angst, dieses mulmige Gefühl bei Grenzübertritten sehr vertraut. Es taucht auch heute noch, bei Passkontrollen für einen kurzen Moment in mir auf.
    Dein Erlebnis in Rudolstadt ist heftig. Ich weiß gar nicht, ob es da einen Unterschied zwischen dem ländlichen Raum und Städten wie Leipzig gab, aber Soldaten mit Maschinengewehren liefen bei uns in der Stadt erst zur Zeit der Montagsdemos herum. Vorher habe ich die entweder nicht wahrgenommen oder das gab es in Leipzig so nicht. Auf jeden Fall beschreibst du da eine heftige Erfahrung, die niemand machen sollte.
    Oh ja, Buchläden waren für mich im Osten wie ein kleines Paradies. Auch wenn es viel Literatur nicht gab, weil vom Klassenfeind, gab es dennoch viel gute Literatur zu kaufen. Schön, dass du das für dich auch nutzen konntest. Herzliche Grüße Sylvia

    Antworten
    • Claudia

      Liebe Sylvia,
      ich danke dir für deinen ausführlichen Kommentar unter meinem Blogartikel.
      Vor allem danke ich dir für deine Blogparade.
      Alles Gute
      Claudia

      Antworten
  3. Angela Carstensen

    Liebe Claudia, vieles in deinem Beitrag hat mich sofort berührt. Auch meine beiden Großmütter stammten aus früheren Ostgebieten und auch meine Eltern landeten durch den einen oder anderen Zufall in Bad Oeynhausen, wo ich aufwuchs, mich aber nie richtig Zuhause fühlte.

    Wir hatten entfernte Verwandte in der ehemaligen DDR, die in Abständen meine Oma im Westen besuchten. Sie durften das meiner Erinnerung nach, weil sie in Rente waren. Über Politik haben wir dabei nie gesprochen, jedenfalls habe ich das als Kind nicht registriert.

    1989 haben wir dann die von dir erwähnte Klassenfahrt gemacht, aber nicht nach Ostberlin, sondern tatsächlich eine Rundreise durch die DDR: Gotha, Königstein, Leipzig. An der Grenze wurde es in unserem Reisebus totenstill, das war sehr gruselig. Die Menschen, die wir auf der Fahrt erlebten, waren vorher ausgewählt worden und die Gespräche waren entsprechend extrem unlocker. Wir hatten ebenso wie ihr viel zu tun, unser zwangsumgetauschtes Geld loszuwerden und viele von uns haben stapelweise Bücher und Musiknoten gekauft.

    Und dann kurz danach der Mauerfall. Da war ich 16 und gerade dabei, irgendetwas im Fernsehen zu sehen, als unten am Rand der Nachrichtenticker durchlief. Ich bekomme auch immer noch Gänsehaut, obwohl ich nicht so dicht involviert bin wie du.

    Vielen Dank für diese Erinnerung und ich freue mich für dich, dass diese Blogparade für dich ein Anlass war, mit deinem Vater über eure gemeinsame Familiengeschichte zu sprechen.

    Liebe Grüße
    Angela

    Antworten
    • Claudia

      Liebe Angela,
      ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut!
      Auch finde ich es immer wieder faszinierend, dass wir Menschen fast immer eine Verbindung untereinander haben. So, zum Beispiel, dass du auch einmal in Bad Qeynhausen gelebt hast.
      Spannend, dass ihr damals eine Rundreise durch die DDR gemacht habt. Das hätte ich damals auch gerne gemacht – allerdings lieber auf eigene Faust ;-).
      Ich habe dafür in den 90er Jahren und danach viel in den neuen Bundesländern gearbeitet, um so auch die Menschen und die Gegend kennen zu lernen.
      Danke dir sehr und viele Grüße gen Norden
      Claudia

      Antworten
    • Claudia

      Liebe Verena,
      ich danke dir sehr für deinen lieben Kommentar.
      Alles Gute
      Claudia

      Antworten

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